Vom Kutschbock aus die Drohne steuern

  • Vom Kutschbock aus die Drohne steuern – Digitalisierung in Krankenhäusern

Arzneimittellieferung via Drohne? Klingt super. Darum arbeitet das Bundesverkehrsministerium auch an einer Drohnenstrategie, die solch futuristische Transportwege ermöglichen soll. Dass das dazugehörige Rezept nach wie vor von einem Menschen auf Papier und zu Fuß in die Apotheke getragen werden muss, scheint für die Politik dabei kein Widerspruch zu sein. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass nahezu die komplette Krankenhauslandschaft – um im Bild zu bleiben – ausschließlich mit der Postkutsche erreichbar ist.

Digitalisierung in Krankenhäusern

„Lasst uns doch erst mal von der Postkutsche zum Auto gelangen, bevor wir unbemannte Flugobjekte in die Lüfte jagen“, lautet darum der Appell von Dominik Pförringer. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Berater am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, holte die Besucher der diesjährigen ETIM-Veranstaltung (Emerging Technologies in Medicine, 22.–23. Februar 2019) an der Uniklinik Essen in seinem Vortrag „Digitization of hospitals – Drones or data cables? Where does the deficit pinch?“ darum zurück auf den Boden der Tatsachen: „Um die Digitalisierung voranzutreiben, müssen wir zunächst einmal realistisch einschätzen, wo wir stehen. Dann können wir darüber nachdenken, wo unsere größten Probleme liegen.“

Drahtlose Vernetzung vor Drohne

Und realistisch betrachtet sind deutsche Krankenhäuser weit davon entfernt, flächendeckend digital zu arbeiten. Ob Visite, Patientenakte oder Bilddaten: Papier ist in den meisten Häusern nach wie vor das wichtigste Werkzeug von Pflegenden und Ärzten – nicht nur in den kleinen, sondern auch in universitären Kliniken. Das liegt laut Dominik Pförringer zum einen an einer mangelnden drahtlosen Vernetzung, die den Einsatz von zum Beispiel schlauen Softwarelösungen für eine digitale Visite auf dem Tablet-PC am Patientenbett unmöglich macht. Und natürlich hat die Digitalisierung etwas mit Geld zu tun. Der Berater schätzt, dass allein jede Universitätsklinik in Deutschland ein zusätzliches Digitalbudget von rund 100 Millionen Euro  für die nächsten fünf Jahre bräuchte, um digital auf Spur zu kommen. Tatsächlich stehen den Universitätsklinika rund 10 Millionen Euro zur Verfügung. „So kommen wir digital natürlich nicht dorthin, wo wir hinwollen“, brachte Dominik Pförringer das Dilemma auf den Punkt.

Sinnvolle Digitalisierungsschritte ermitteln

Und wie können Krankenhäuser trotzdem digitale PS auf die Straße bringen? Zunächst einmal müssen die Häuser ihre Prozesse analysieren, um sie überhaupt zu begreifen. Erst dann kann entschieden werden, welche Prozesse digitalisiert werden sollten. Denn: Nicht jede Digitalisierung ist sinnvoll. Und wer einen schlechten Prozess digitalisiert, erhält am Ende einen schlechten digitalen Prozess. Darum riet der Experte den Zuhörern: „Schauen Sie, wo Einsparpotenziale durch Digitalisierung vorhanden sind, wo eine Entlastung von Mitarbeitern wirklich Zeit einspart oder wo der Nutzen für den Patienten am größten ist. Kurz: Finden Sie heraus, wie die 380 Milliarden Euro, die im Gesundheitswesen ausgegeben werden, zum Wohl des Patienten besser allokiert werden können.“ Sinnvoll kann in diesem Zusammenhang auch eine Befragung der potenziellen Anwender sein. Vergleichbar mit einem Anamnesegespräch durch den Arzt lassen sich dadurch die größten „Schmerzen“ von Ärzten und Pflegekräften konkretisieren, adressieren und entsprechend lindern. 

Lieber gute Insellösungen als gar keine Lösung 

Der große Wurf hin zu einer digital vollständig vernetzten medizinischen Landschaft lässt sich so freilich nicht realisieren. Im Ergebnis werden allenfalls Insellösungen für bestimmte Teilprozesse umgesetzt. Dominik Pförringer: „Natürlich träumen alle von einer elektronischen Gesamtlösung über Sektorengrenzen hinweg. Die gibt es aber NOCH nicht. Von der elektronischen Gesundheitskarte müssen wir gar nicht sprechen und auch in den elektronischen Patientenakten klaffen große Lücke. Und solange das so ist, sind wir mit Insellösungen weitaus besser bedient als mit bisherigen analogen Arbeitsweisen. Wir brauchen realistische Lösungen, die funktionieren, und keine theoretischen Ideale, die nicht ins Laufen kommen.“ Dass eine Standardisierung, Harmonisierung und Vernetzung der medizinischen Daten langfristig absolut unausweichlich ist, um zukünftig eine hochwertige Versorgung zu gewährleisten, betonte aber auch der Orthopäde.

Mangelnde Kommunikation als Hürde

Aus seiner tagtäglichen Erfahrung als Arzt weiß Dominik Pförringer, wo der Schuh in den Kliniken am schmerzhaftesten drückt. Nämlich bei der überwältigenden Dokumentationsflut und dem inhomogenen Informationsfluss. Beides hängt zusammen: Nicht nur, dass Informationen erst auf Papier dokumentiert und später noch einmal in einen Computer übertragen werden müssen, dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder, da die medizinischen Informationen nicht digital übermittelt werden und jede Behandlungsstation diese Daten erneut abfragt. „Diese Medienbrüche und die daraus entstehende inkohärente Kommunikation sind die größten Stressfaktoren – für Mitarbeiter und Patienten gleichermaßen. Und da genügt es manchmal schon, mit kleinen Lösungen an kleinen Schrauben zu drehen, um mehr Zufriedenheit zu schaffen. Um diese im Gesamtprozess zu identifizieren, müssten aber alle Beteiligten lernen, miteinander zu reden: die Verwaltung mit der Medizin, die Medizin mit der IT, die IT mit dem Einkauf. Dieser komplett analoge Vorgang ist die Voraussetzung dafür, Medikamentendrohnen jemals sinnvoll zum Fliegen zu bringen“, resümierte Dominik Pförringer. Er freut sich auf die Aufgaben und die zu erwartenden Fortschritte im Interesse des Patienten und der Ärzte.

Dominik Pförringer – Vom Kutschbock aus die Drohne steuern
„Lasst uns doch erst mal von der Postkutsche zum Auto gelangen, bevor wir unbemannte Flugobjekte in die Lüfte jagen.“

Dominik Pförringer

Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Berater am Klinikum rechts der Isar