Ohne IT geht es nicht

  • Ohne IT geht es nicht – Prozessoptimierung in Krankenhäusern

Prozessoptimierung in Krankenhäusern

Agiles Arbeiten – wieder so ein Buzzword, über das alle reden, aber von dem kaum jemand weiß, worum es eigentlich geht? Nicht ganz. Wir sprachen mit Achim Schütz, selbstständiger Business Consultant sowie Klinikleiter, der sich überdies intensiv mit der Systemtheorie auseinandersetzt. Und spätestens nach der Lektüre des Interviews mit ihm werden auch Sie eine Ahnung von und wahrscheinlich eine Meinung zu dem Thema "Agiles Arbeiten im Krankenhaus" haben.

Herr Schütz, zunächst einmal: Wie definieren Sie agiles Arbeiten?

Ich leite den Begriff aus der Systemtheorie ab. In diesem Konstrukt ist Agilität die Basis dafür, auf Veränderungen der äußeren Bedingungen schnell reagieren zu können. Dazu gehört zum Beispiel die Arbeit in abgegrenzten, selbstorganisierten Teams oder eine holokratische Kommunikation. Diese Arbeitsweisen sind heute vielen aus der Scrum-Theorie bekannt. Allerdings eignet sich die Scrum-Praxis nur für die Projektarbeit. Um auch agile Hierarchien zu schaffen, bräuchte es hybride Methoden, damit Organisationen so aufgestellt werden, dass sie schnell und kontextuell reagieren können.

Nun ist ein Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen wie jedes andere, sondern Akteur in einem teilregulierten Markt. Lassen sich die Prinzipien der Systemtheorie so einfach auf Gesundheitseinrichtungen übertragen?

Tatsächlich besagt die Systemtheorie, dass sich komplexe offene Systeme nicht linear-kausal steuern lassen. Vielmehr bedarf es eines kontextuellen, systemischen Denkens in Wirkungsnetzen mit Wechselwirkungen. Ein Beispiel, um dieses Prinzip zu verdeutlichen: Wird ein Ingenieur mit dem Bau einer Brücke beauftragt, richten sich Planung und Ausführung nach den Gesetzen der Statik und denen der Natur. Daraus ergeben sich Wechselwirkungen, die direkten Einfluss auf die Stabilität der Brücke haben – zum Beispiel, wenn sich die Brücke in einer Windschneise befindet.

In teilregulierten Märkten greifen diese Mechanismen nur bedingt, weil Wechselwirkungen häufig gar nicht berücksichtigt werden. Im Krankenhaus könnten die Patientenbedürfnisse eine solche Wechselwirkung sein. Das liegt auch daran, dass es Rahmenbedingungen gibt, die der Geschäftsführer einer Klinik nicht ändern kann. Trotzdem bin ich überzeugt, dass auch in Krankenhäusern agiles Arbeiten gelingen kann. Im Moment allerdings nur rudimentär, weil die Organisation einer Gesundheitseinrichtung noch zu tradiert ist.

Erfordert die Ware "Gesundheit“ nicht exakt solche konservativen Rahmenbedingungen, um ein gewisses Maß an Sicherheit zu gewährleisten und somit das Vertrauen der Patienten zu stärken?  

Das ist ein gern genutztes Argument, dass es ja schließlich um Menschenleben geht. Das ist aber in der Auto-, der Kernkraft- oder der Luftfahrtindustrie nicht anders. Auch hier spielt die Qualität der Leistungserbringung eine überragende Rolle. Und trotzdem ist zum Beispiel gerade die Luftfahrtindustrie sehr weit bei der Umsetzung agiler Arbeitsweisen.

Das eigentliche Dilemma in Krankenhäusern ist vielmehr, dass hier seit jeher fast ausschließlich Menschen arbeiten, die ihr ganzes Berufsleben in diesem Umfeld verbringen. Es gibt also keine Querdenker und wenig Impulse, um aus anderen Industrien zu lernen. Es fehlt ein bisschen die Einsicht, dass Ärzte zum Beispiel aus der Automotive-Industrie wertvolle Tipps erhalten können – und sei es nur der, im OP die Anzahl der Gefahrenstellen durch herumliegende Kabel zu minimieren.

Wie könnte agiles Arbeiten in Krankenhäusern denn praktisch aussehen?

Agiles Arbeiten kann sich in immer wieder optimierten Standards widerspiegeln. Die werden durch die konsequente Kundenfokussierung sowie den Einsatz von Checklisten und Behandlungspfaden erreicht. Das wird nach wie vor viel zu wenig genutzt. Für den medizinischen Teil gibt es durch die Leitlinien strukturierte Vorgaben, was fehlt, sind Behandlungspfade, die durch die Brille des Patienten erstellt werden. Da geht es dann um Themen wie Reduzierung von Wartezeiten, Vermeidung von Doppeluntersuchungen, Servicedenken, Freundlichkeit und vieles mehr. Auch ein verlässlich gleichbleibendes Behandlungsergebnis könnte so gewährleistet werden, um die Qualitätskluft zu schließen, die teilweise durch die Frage entsteht, an welchen Arzt mit welchem Erfahrungshorizont ein Patient gerät.

Weiterhin müssen Teams gebildet werden, die den Patienten im Fokus haben und nicht nur die Erkrankung. Es muss gewährleistet sein, dass bei einem Patienten mit der Hauptdiagnose "Herzinsuffizienz" auch behandlungsbedürftige Nebendiagnosen wie zum Beispiel eine Diabetes-mellitus-Erkrankung erkannt und behandelt werden. In solche Teams gehören Mediziner, Pflegekräfte und auch Kodierer/Medizincontroller, die medizinisch sinnvolle und wirtschaftliche Entscheidungen treffen. Voraussetzung dafür ist, dass sie mit einer hinreichenden Fach- und Entscheidungskompetenz ausgestattet werden und sich selbst organisieren.

Und schließlich müssen die leitenden Ärzte als Unternehmer innerhalb des Krankenhauses arbeiten. Das würde allerdings einen Paradigmenwechsel bedeuten: weg von einer Messung der Leistungsindikatoren, hin zu einer Beurteilung der Behandlungs- und Ergebnisqualität. Also weg von einer Belohnung hoher Fallzahlen oder Case-Mix-Punkten, hin zu qualitativen Incentivierungen. Derzeit fehlt es hierfür noch an einer entsprechenden Infrastruktur – und auch an dem Willen, eine solche bereitzustellen.

Welche Rolle spielt die IT innerhalb dieser Szenarien?

Eine bedeutende. In anderen Branchen wird die IT teilweise schon seit Jahrzehnten eingesetzt, um Arbeitsverdichtung und Kostendruck entgegenzutreten. In Krankenhäusern herrscht die Devise: mehr Arbeit – mehr Personal. Mit dieser Einstellung können Symptome geheilt, die Ursachen aber nicht beseitigt werden. Wenn weitere Ressourcen in ein ineffizientes System investiert werden, wird gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen.

Das Potenzial für IT-Investitionen in Krankenhäusern ist im Vergleich zu anderen Branchen überproportional hoch. Auch in Krankenhäusern ist es die IT, die für schlankere Prozesse, Arbeitsentlastung und mehr Effizienz sorgen kann. Sei es im medizinischen und pflegerischen Bereich oder in der Verwaltung. Um solche positiven Effekte zu erzielen, braucht es eine exzellente Vernetzung, damit Informationen patientenzentriert zusammenlaufen. Ansätze dafür gibt es vielfach schon, aber diese Konsolidierung muss konsequent mit Herz, Verstand und Strategie umgesetzt werden. Eine zentrierte Datenhaltung, die alle medizinisch relevanten Informationen umfasst, verbessert nicht nur die medizinische und pflegerische Versorgung, sie sorgt auch für Erlössteigerungen: Doppeluntersuchungen werden vermieden, die Behandlungsqualität erhöht, die Arbeit des Kodierers wird erleichtert und die einzelnen Fälle lassen sich auch wirtschaftlich beurteilen.

Die Verfügbarkeit von Daten über Abteilungsgrenzen hinweg fördert auch die Etablierung wirksamer, kleiner, interdisziplinärer Teams mit eigener Entscheidungskompetenz. Solange Daten ein Inseldasein führen und in Subsystemen vergraben sind, können fachübergreifend keine vernünftigen medizinischen, pflegerischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen werden. Das Zusammenführen von Informationen und die Auflösung proprietär geprägter Strukturen ist darum eine Grundvoraussetzung für agiles Arbeiten.


 

Achim Schütz – systcoach.consulting
Bevor Achim Schütz sich mit systcoach.consulting in Hennef als Interim Manager und Business Consultant selbstständig machte, war er Geschäftsführer des Sankt Franziskus-Hospitals und Ressortleiter Finanzen der Hospitalvereinigung der Cellitinnen zur hl. Maria in Köln.

Als Geschäftsführer sanierte er die Ökumenische Verbundkrankenhaus gGmbH in Trier. Derzeit leitet er eine Klinik des schwedischen Capio-Konzerns in Deutschland.

In seine Arbeit fließen auch seine Erfahrungen aus der Unternehmensentwicklung in der Versicherungs-und Industriebranche ein. Achim Schütz ist unter anderem systemischer Coach und veröffentlichte Literatur zum Thema "Systemische Führung".

Achim Schütz

systcoach.consulting