Fachkräftemangel in der IT

  • Fachkräftemangel in der IT

Knapp 100.000 Stellen blieben 2021 in der IT-Branche unbesetzt.1  Das spürt auch die Gesundheitswirtschaft. Egal, ob in Krankenhäusern und Praxen oder in Gesundheits-IT-Unternehmen: Gute Leute sind schwer zu finden. Dabei könnten die Bedingungen schlechter sein, bietet die Branche doch mittlerweile flexible Arbeitsmodelle und den von Young Professionals oft gewünschten „Purpose“. Intelligente Softwarelösungen und deren Anwendung wirken sich schließlich direkt auf das Wohlergehen von Menschen aus. Basieren die Lücken in der Personaldecke also auf Nachwuchsmangel, auf unattraktiven Konditionen oder auf dem Ruf der Branche an sich? Das fragten wir Prof. Dr. Bernhard Breil, Professor für Gesundheitsinformatik an der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Eine eindeutige Antwort fand auch er nicht – dafür aber viele unterschiedliche Anregungen, um jungen Leuten die Healthcare-IT schmackhaft zu machen.

Professor Breil, der Fachkräftemangel in der IT könnte den Eindruck erwecken, für junge Menschen wäre ein Informatikstudium nicht mehr interessant. Können Sie das aus Hochschulsicht bestätigen?

Bernhard Breil: Die IT steht im Vergleich zu anderen Studiengängen gut da. Insgesamt sind die Studierendenzahlen in allen Fächern und an allen Universitäten und Hochschulen rückläufig. Ein Grund dafür sind die geburtenschwachen Jahrgänge, weshalb die Anzahl an Studierenden einfach geringer ist. Hinzu kommt eine starke Fragmentierung der Studiengänge, die dazu führt, dass die wenigen Studierenden sich auf mehr Fächer verteilen. Bei uns in Krefeld sind die Einschreibungen für den Studiengang Medizinische Informatik konstant – allerdings einen Tick zu niedrig. Wir könnten mehr Leute akademisch ausbilden und der Markt könnte auch mehr Fachkräfte gebrauchen. Wir müssen aber auch unterscheiden: Die Zahlen in der Informatik insgesamt sind gut, die Angebote auf unserem neuen Cyber Campus NRW werden sehr stark nachgefragt. Das Interesse ist also nach wie vor da und wird offenbar auch durch die Themen gesteuert, die in den Medien präsent sind.

Wenn die Studierendenzahlen nicht rückläufig sind, wo bleiben dann die ganzen Absolventinnen und Absolventen? Warum finden die ihren Weg nicht in die Krankenhäuser und Unternehmen?

Bernhard Breil: Da gibt es sicherlich nicht den einen Grund, das ist eine Mischung aus unterschiedlichen Themen. Meiner Meinung nach spielt die öffentliche Wahrnehmung eine Rolle. Wir lesen ja fast täglich in der Zeitung und im Netz, wie wenig digitalisiert das Gesundheitswesen ist, wie schleppend Projekte wie die Einführung der eGK laufen, wie viele Regularien es gibt, wie restriktiv Gesetze sind und dass der Datenschutz ohnehin alles verhindert. Das erweckt natürlich den Eindruck, dass die coole Musik in der IT woanders spielt. Ich denke, die Branche müsste viel stärker herausstellen, welche Gestaltungsspielräume die Gesundheits-IT bietet. Gerade auch mit Blick darauf, dass junge Menschen heute nicht einfach nur Geld verdienen wollen, sondern mit ihrem Engagement etwas bewegen, etwas Gutes tun wollen. Und das kann man in unserer Branche zweifelsohne. Intelligente IT und eine gute Digitalisierung sind der Schlüssel für mehr Gesundheit und Lebensperspektive. Wir haben es letztendlich mit sehr dankbaren „Kunden“ zu tun. 

Auch mit Blick auf die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz in der Medizin und den Mehrwerten, die sich daraus ergeben, sollte man doch meinen, dass die Gesundheits-IT ein spannendes Feld ist.

Bernhard Breil: Ganz klar. KI zieht immer. Wir brauchen aber auch Leute, welche die Übersetzungsarbeit überzeugend leisten können. Die aufzeigen, welche Besonderheiten das Gesundheitswesen mit sich bringt und welche Fragestellungen. Denn noch bevor überhaupt eine Zeile Code geschrieben wird, muss die Frage beantwortet sein, welches Problem gelöst werden soll. In der Medizin wird das noch nicht klar genug, wir reden zu viel über Probleme und zu wenig über Chancen und Entwicklungspotenziale.
Neben den Inhalten spielen aber natürlich auch die Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes eine Rolle. Junge Menschen erwarten Flexibilität, eine bessere Work-Life-Balance, mehr Zeit für Familie. Auch diese Flexibilität kann unsere Branche grundsätzlich bieten, das haben wir während der Pandemiejahre gelernt. Jetzt gilt es, diese Prozesse in den Regelbetrieb zu überführen, in die Arbeitsverträge zu integrieren und viel Werbung dafür zu machen.
Letztlich müssen sich aber gerade auch Krankenhäuser eingestehen, dass sie zum Beispiel in Sachen Gehalt nicht in der obersten Liga mitspielen können. Geld spielt heute zwar häufig nicht mehr die alleinige Rolle, für die Verwirklichung des Lebensmodells ist es aber eben doch unerlässlich. Da können die großen Unternehmen mehr punkten. Trotzdem: Ich bin überzeugt, dass wir die Leute mit der Sinnhaftigkeit der Medizininformatik ködern können, dass wir einen wirklich wichtigen Wert bieten. Wir müssen ihn nur besser verkaufen.

Was können Unternehmen tun, um die Young Professionals besser zu adressieren?

Bernhard Breil: Ein wichtiger Faktor ist auch die Unterstützung und Begleitung der Karriere. Unternehmen können Studierende schon während der Bachelorzeit mit unbefristeten Verträgen versorgen, sie durch das Studium begleiten, den Master durch eine Teilzeitregelung ermöglichen. Auch ein duales Studium ist eine sehr gute Option, wir bieten das im sogenannten Krefelder Modell an und richten uns dabei an Auszubildende, die statt zur Berufsschule zur Uni gehen. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen, die Studierenden sind oft besonders motiviert, weil sie die Inhalte direkt in der Praxis anwenden können.

Für wen bieten Sie solche Modelle, für Unternehmen oder für Kliniken?

Bernhard Breil: Im Prinzip für beide Zielgruppen. Leider – das muss man so sagen – sind diese Modelle sehr schwach nachgefragt. Wir haben vielleicht drei oder vier Studierende jedes Jahr, die direkt aus Unternehmen kommen. Das ist schade. Gerade Klinikketten könnten sich durch die Wahlmöglichkeit einer Ausbildung und/oder eines dualen Studiums als attraktiver Karrierebegleiter positionieren. Diese Chancen werden aktuell noch vertan. Damit der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren nicht noch zu zusätzlichen Verzögerungen bei der Digitalisierung führt, müssen wir also an mehreren Schrauben drehen. Wir müssen am Image arbeiten, die Medizininformatik als sozial nachhaltiges Fach mit Sinn positionieren. Und, wir müssen variable, attraktive Ausbildungs- und Berufsumfelder schaffen, um die Young Professionals bei ihrer Lebensplanung zu unterstützen.

Vielen Dank für das Gespräch.


Studie zum Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte im Auftrag des Digitalverbands Bitkom
 

Dr. Bernhard Breil
"Ich denke, die Branche müsste viel stärker herausstellen, welche Gestaltungsspielräume die Gesundheits-IT bietet."

Prof. Dr. Bernhard Breil

Professor für Gesundheitsinformatik an der Hochschule Niederrhein in Krefeld