KI statt MI? – Ein Blick aus der Praxis

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Ein häufig genannter Vorteil des Einsatzes von KI in der Radiologie lautet so: KI sorgt gerade bei jungen, unerfahrenen Radiologinnen und Radiologen für mehr Befundungsqualität. Die KI stellt sicher, dass den Rookies nichts entgeht, stößt sie mit der Nase auf Auffälligkeiten und liefert ihnen wertvolles Wissen aus Literatur und Wissenschaft.

Klingt erstmal gut. Aber was bedeutet dieser Komfort eigentlich für die menschliche Intelligenz, die MI? Wenn die KI verlässliche(re) Ergebnisse liefert als die MI, müssen wir die Gehirne von Studierenden dann überhaupt noch mit der stupiden Aneignung bestimmter Wissensbereiche und dem Trainieren von Mustern malträtieren? Sollte die Denkkapazität dann nicht besser für das Erlernen anderer Fähigkeiten genutzt werden? Der Stärkung interkultureller und kommunikativer Kompetenzen oder der richtigen Verwendung digitaler Lösungen zur Verbesserung der Versorgung etwa. Der Bedarf dafür ist unbestreitbar vorhanden.

Aber Vorsicht. Die Sache hat nämlich einen Haken: Egal, wie gut KI-Lösungen Bilder lesen und analysieren können – die Verantwortung für einen Befund liegt weiterhin beim Menschen. Entsprechend muss die MI auch in Zukunft das komplette radiologische Kompetenz-Set umfassen. Wer nichts weiß, kann nichts entscheiden, kann keine Verantwortung übernehmen. Menschen können Fehler machen, können nach einer 14-Stunden-Schicht unaufmerksam sein. Sie müssen die Fehler oder Unaufmerksamkeiten aber erkennen können, wenn sie darauf hingewiesen werden. Und diese Erkenntnis erfordert nun mal Wissen.

Angesichts der Verlockungen des Nicht-Wissen-Müssens, welche die KI mit sich bringt, erscheint es darum wichtiger denn je, den radiologischen Kernkompetenzen einen hohen Stellenwert in der radiologischen Ausbildung einzuräumen. Bei der Vermittlung eben dieser wird die IT im Allgemeinen und die KI im Speziellen aber einen wichtigen Beitrag leisten. Junge Radiologinnen und Radiologen werden lernen (müssen), wie sie KI zum Wohle der Patienten einsetzen können, welchen Mehrwert KI bringt – und welche Limitationen sie hat. Sie werden Erfahrungen im Zusammenspiel zwischen MI und KI sammeln – und so die Versorgung potenziell auf ein neues Niveau heben.

Die Implementierung von KI-Systemen in der Radiologie sollte jedoch schrittweise erfolgen, um sicherzustellen, dass die Systeme von den Radiologen akzeptiert und optimal genutzt werden. Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern über die Funktionsweise von KI-Systemen aufgeklärt werden, um Ängste und Bedenken abzubauen. Die Entwicklung von KI-Systemen für die Radiologie sollte in enger Zusammenarbeit mit Radiologen erfolgen, um sicherzustellen, dass die Systeme den Bedürfnissen der Anwendenden entsprechen.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Entwicklung und Nutzung von KI in der Radiologie transparent und ethisch vertretbar erfolgt. Die Einführung von KI in der Radiologie sollte von einer umfassenden Evaluation begleitet werden, um ihre Auswirkungen auf die Befundungsqualität, die Patientensicherheit und die Arbeitszufriedenheit der Radiologinnen und Radiologen zu erfassen.

Fazit

KI kann die Radiologie verbessern, aber sie ersetzt nicht die menschliche Intelligenz. Radiologen müssen daher weiterhin über ein hohes Maß an Wissen und Kompetenz verfügen und lernen, wie sie KI sinnvoll nutzen können. Hier ist es auch Aufgabe der Hersteller, diesen Prozess niederschwellig zu begleiten.

Martin Klingelberg - VISUS

Martin Klingelberg

VISUS Bereichsleitung Produktmanagement