Medizinische Daten als Geschäftsmodell

  • Medizinische Daten als Geschäftsmodell – Story

Das Krankenhaus von morgen

Krankheiten verhindern statt sie zu heilen: Darin wird in Zukunft die Kernkompetenz der Krankenhäuser liegen. Zumindest, wenn die Prognosen von Prof. Dr. David Matusiewicz eintreffen. Der Dekan des Bereichs Gesundheit & Soziales der Hochschule für Oekonomie und Management (FOM) ist überzeugt, dass die Verfügbarkeit medizinischer Daten das Geschäftsmodell „Krankenhaus“ grundsätzlich auf den Kopf stellen wird. Worauf sich die Häuser seiner Meinung nach einstellen müssen, verrät er im Interview.

Welche Rolle spielen medizinische Daten für die Gesundheitsversorgung der Zukunft?

Medizinische Daten sind die Währung von morgen – und entsprechend relevant für das wirtschaftliche Überleben der Leistungserbringer. Während sich Krankenhäuser heute Gedanken über Landesbasisfallwerte machen, werden künftige Geschäftsmodelle auf dem Vorhandensein medizinischer Daten aufsetzen und darauf, das aus ihnen gewonnene Wissen zu adaptieren. Aber nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Versicherer und die Patienten selbst werden mit medizinischen Daten Geld verdienen. Schon heute gibt es Unternehmen, die Menschen Bares für ihre Gesundheitsdaten bieten. Keine Kryptowährungen oder Ähnliches, sondern ganz konkrete Euro-Beträge. Diese realen Geldwerte machen es für Nutzer von zum Beispiel Fitnessuhren attraktiv, ihre Daten zu teilen.

Wie genau können Krankenhäuser von dieser Art der Datengewinnung profitieren?

Ob sie überhaupt davon profitieren, hängt davon ab, ob sie bereit sind, ihr Geschäftsmodell ganz grundsätzlich zu transformieren. Denn die großen Datenmengen führen zu mehr Wissen – sowohl, was den einzelnen Menschen persönlich betrifft, als auch, was die Medizin als Wissenschaft angeht. Dieses Wissen wird dazu beitragen, dass Krankheiten erkannt werden, bevor sie entstehen. Zum einen, weil große Datenmengen neue Korrelationen und exaktere Prognosen erlauben. Zum anderen, weil jeder Mensch seine Risikomarker selbst ermitteln wird. Die Aufgabe der Krankenhäuser wird dann nicht mehr darin liegen, einen Tumor operativ zu entfernen und eine Chemotherapie durchzuführen. Sondern darin, einzugreifen bevor der Krebs ausbricht. Wir reden also von Gesunderhaltung und nicht mehr von Krankheit und Therapie. Krankenhäuser werden sich also darauf spezialisieren, Diagnostik und Risikominimierung – zum Beispiel durch genetische Therapien – anzubieten. 

Etwas konkreter bitte: Wie können wir uns so eine Art der Medizin genau vorstellen?

Im Prinzip wird jeder von Geburt an Patient sein. Denn die Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten werden kontinuierlich auf dem Smartphone oder welcher Technologie auch immer gemessen. Sobald ein Risikowert eine bestimmte Schwelle überschreitet – der Betroffene aber noch weit davon entfernt ist zu erkranken – wird genauer diagnostiziert und präventiv gehandelt. Diagnostik und Therapie werden also nicht mehr auf Zufällen basieren, sondern sehr gezielt eingesetzt. Und sie werden wohl nicht in dem Umfang wie bisher im Krankenhaus stattfinden. Viele diagnostische Prozesse werden vorverlagert: Blutanalysen kann der Patient selbst erstellen, vergleichbar zur Blutzuckerbestimmung. Oder die Diagnostik erfolgt mittels Telemonitoring über einen Dienstleister. Welche Technologien und Geschäftsmodelle sich auch immer durchsetzen werden, fest steht, dass nur noch die wirklich schweren Fälle in die Krankenhäuser kommen werden. Und von denen wird es dank früherer Diagnostik immer weniger geben.

Klingt so,  als ob die Krankenhäuser überflüssig werden würden?!?

Nicht ganz. Seriöse Schätzungen gehen aber davon aus, dass von den heute gut 2.000 Krankenhäusern nur etwa 300 bis 500 bestehen bleiben werden. Und sicherlich wird es spezialisierte Zentren für bestimmte Erkrankungen geben und die Menschen werden für elektive Behandlungen weitere Wege auf sich nehmen müssen.

Für die Krankenhäuser ist dieses Szenario nicht sonderlich attraktiv. Wieso sollten sie die Digitalisierung also überhaupt mitmachen?

Weil es andere ohnehin machen. Wer meint, die Digitalisierung sei durch Ignoranz aufzuhalten, wird zuschauen müssen, wie zum Beispiel Amazon das erste Krankenhaus betreibt und die erste Versicherung anbietet. Die Dominanz der Daten für die Medizin von morgen lässt sich nicht verhindern. Krankenhäuser sollten sich also lieber darauf einstellen und überlegen, wie sie selbst diese Medizin gestalten wollen. 

Was können und müssen sie schon heute dafür tun?

Stringent digitalisieren. Die digitale Patientenakte ist der wichtigste Schritt. Das spart Milliarden und sorgt für erhebliche Prozessbeschleunigungen. Außerdem muss die Kommunikation zwischen den Leistungserbringern und zum Patienten verbessert werden. Auch hier hilft die Digitalisierung. Und Krankenhäuser müssen schon heute dafür sorgen, dass medizinische Daten einheitlicher und strukturierter vorliegen, damit sie übergreifend Informationen liefern können und die Basis für groß angelegte Analysen bilden können. Außerdem ist es an der Zeit, auch die Diagnoseschlüssel zu überdenken – weg von Krankheiten, hin zu Symptomen. Die Kodierung von Krankheiten ist ziemlich ungenau und diese Ungenauigkeiten fließen dann in die Versorgungsforschung ein. Vernünftiges Datenmanagement und exaktere Forschung ließen sich auf der Basis von international gültigen Symptomkodierungen betreiben. Welche konkreten Anforderungen als Nächstes auf die Krankenhäuser zukommen, lässt sich schwer voraussagen. Dazu sind die Innovationszyklen mittlerweile zu kurz und der Markt zu volatil. Das Motto sollte also lauten: Voranschreiten!

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Prof. Dr. David Matusiewicz

Dekan des Bereichs Gesundheit & Soziales der Hochschule für Oekonomie und Management (FOM)