So digital sind Deutschlands Krankenhäuser

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Am Ende hatten die Krankenhäuser gerade einmal rund zehn Wochen Zeit, um ca. 230 Fragen zu beantworten und so eine bis dahin einmalige Datenerhebung zu realisieren. Nach einer ebenso kurzen Validierungsphase standen Ende Februar dann schon die ersten Ergebnisse des DigitalRadars, der digitalen Reifegradmessung deutscher Krankenhäuser, die im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) gefordert wurde, fest. Erstes, wohlwollend formuliertes Fazit: Beim Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser gibt es noch Luft nach oben.

Prof. Dr. Alexander Geissler - DigitalRadar
So wirklich überraschend war das Ergebnis nicht und tatsächlich ist die technologische Basis für eine stärkere Digitalisierung bereits gelegt, wie Prof. Dr. Alexander Geissler, Ordinarius für das Management im Gesundheitswesen an der Universität St. Gallen und stellvertretender Projektleiter des DigitalRadars, im Interview betonte.

Dr. Alexander Geissler

Projektleiter des DigitalRadars

Prof. Geissler, bevor wir auf die Ergebnisse zu sprechen kommen, fassen Sie doch bitte noch einmal kurz zusammen, wie Ihr Konsortium die Reifegradmessung ausgestaltet hat und warum Sie sich letztlich durchsetzen konnten.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat einerseits klare Angaben zur Umsetzung der Datenerhebung gemacht. So sollte zum Beispiel der Bearbeitungsaufwand für die Krankenhäuser überschaubar bleiben. Eine weitere Voraussetzung war, dass die Erhebung Aufschluss über den Status quo der Digitalisierung für alle Fördertatbestände des KHZG geben sollte. Andererseits haben die Konsortien eigene Schwerpunkte gesetzt, die durchaus unterschiedlich waren. Uns war zum Beispiel wichtig, dass die Ergebnisse letztlich auch einen internationalen Vergleich zulassen. Nur so können wir wirklich beurteilen, wo wir als Gesellschaft tatsächlich stehen. Mit der HIMSS als eine Konsortialpartnerin  hatten wir die internationale Erfahrung mit Blick auf Reifegradmessungen mit an Bord. Das war eine gute Ausgangsbasis und letztlich – das ist meine persönliche Meinung – wohl auch ausschlaggebend dafür, dass wir den Zuschlag erhalten haben.

Das EMRAM-Stufenmodell der HIMSS, das Sie ansprechen, hat sich auf den deutschen Markt nicht so richtig übertragen lassen, weshalb es sich letztlich auch nicht wirklich durchsetzen konnte. Wieviel EMRAM steckt jetzt im DigitalRadar?

Die Krankenhäuser haben es ja selbst gemerkt: Neben EMRAM stecken auch Ansätze anderer Modelle, etwa KIT-CON, im Digitalradar. Und natürlich ganz neu entwickelte Parameter, die sich auf die Fördertatbestände beziehen. Aber um eine internationale Vergleichbarkeit zu erreichen, musste schon ein nennenswerter Teil der EMRAM-Fragen einfließen. Letztlich waren es etwa 60 Prozent. Diese Fragen machen für die Beurteilung aber echten Sinn. Unsere Fragebögen sind vor Veröffentlichung durch zahlreiche Pilotkrankenhäuser unterschiedlicher Größe kritisch bewertet und von uns angepasst worden. Die finalen Fragen deckten also ganz klar die Gegebenheiten und Besonderheiten der deutschen Krankenhauslandschaft ab.

Und auch die Ergebnissystematik ist eine andere. Beim DigitalRadar geht es nicht darum, eine bestimmte Stufe, sondern eine möglichst hohe Punktzahl im Bereich zwischen 0-100 zu erreichen. Um die Themenfelder der Fördertatbestände abzudecken und den Krankenhäusern eine Selbsteinschätzung zu ermöglichen, gliedern sich die Fragen und die Auswertungen in sieben Dimensionen. Der Erfüllungsgrad einer jeden Dimension kann dabei einzeln bewertet werden.

Welche Schlüsse können Krankenhäuser nun aus den ersten Analysen ziehen und wie geht es weiter?

Jedes Krankenhaus kann seine Ergebnisse in einem Dashboard einsehen. Hier gibt es auch zahlreiche Filterfunktionen – nach Größe, Trägerschaft und Region –, sodass ein realistisches Benchmarking stattfinden kann. Der DigitalRadar dient den Krankenhäusern also als ein kleines Managementtool für die digitale Entwicklung, das Schwächen und Stärken aufzeigt. Gleichzeitig lassen sich aus den Daten des Digitalradars noch viele weitere Schlüsse ziehen. Zum Beispiel generelle Trends, in welchen Bereichen deutsche Krankenhäuser allgemein gut oder eher schlecht aufgestellt sind. Die ersten Analysen ergaben zum Beispiel, dass der Durchschnittswert in der Dimension „Struktur & Systeme“ bei über 50 Punkten lag. Das ist ein guter Wert, der darauf hindeutet, dass die Lösungen da sind, es allerdings an Interoperabilität und Vernetzung fehlt. Mit unter zehn Punkten ist die Dimension „Patientenpartizipation“ allerdings durch die Bank schlecht. Das sollte für alle Häuser ein Weckruf sein. Und schließlich haben wir durch die Einbindung der EMRAM-Fragen noch eine internationale Überleitung, die den Krankenhäusern zeigt, auf welcher EMRAM-Stufe sie sich wiederfinden würden, wenn sie ein Zertifizierungsverfahren der HIMSS durchlaufen würden.
Weitere Analysen und Auswertungen werden noch folgen, wir haben ja gerade erst mit der Auswertung angefangen. Es wird also auch in Zukunft noch viel zu berichten geben.

Wir sind gespannt. Vielen Dank für das Gespräch.
 


 

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Insgesamt wertete das Projektteam die Antworten von 1.616 Krankenhäusern aus, das entspricht einem Anteil von 91 Prozent der nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser. Jeder Datensatz wurde auf seine Validität hin überprüft. Die Erhebung aus dem Jahr 2021 dient als Referenzwert, um die Steigerung des Digitalisierungsgrades zu ermitteln, der mithilfe der Fördergelder erreicht werden kann.

Die Partner des Konsortiums DigitalRadar

  • inav – Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH
  • HIMSS Europe GmbH
  • Lohfert & Lohfert AG
  • RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
  • Universität St. Gallen – School of Medicine
  • Projektleitung: Prof. Dr. med. Sylvia Thun, Berlin Institute of Health at Charité und Prof. Dr. Alexander Geissler, School of Medicine, Universität St. Gallen