Die KI wird der Partner der Beschäftigten im Gesundheitswesen

  • Radiologie meets KI

Dass die KI in der Radiologie zunehmend Fuß fasst, wird allgemein und völlig zu Recht als Erfolg und wichtiger Schritt in die Zukunft bewertet. Schließlich soll – ja muss – das Gesundheitswesen digitaler werden, um künftige Herausforderungen meistern zu können. Und trotzdem muss die Frage erlaubt sein: Sind unsere Erwartungen an die KI realistisch? Ist sie wirklich der „best Buddy“ der Radiologie oder etwa nur ein „false friend“?

Um einer Antwort auf die Spur zu kommen, sprachen wir mit Dr. Piotr Radojewski. Er arbeitet am Universitätsinstitut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Inselspital Bern. Außerdem ist er Teil des Center for Artificial Intelligence in Medicine (CAIM), einer Forschungs-, Lehr- und Translationsplattform an der Universität Bern, die KI zur Versorgungsoptimierung einsetzt.

Wo stehen wir aktuell beim Einsatz der KI in der Radiologie?

Dr. Piotr Radojewsk: Die Radiologie ist Vorreiter beim Einsatz der KI, nach wie vor. Auch sind die Lösungen für die Radiologie am weitesten fortgeschritten. Bei den Erkrankungen bzw. den Organsystemen, mit denen sich die meisten KI-Anwendungen befassen, sehen wir einen klaren Trend bei der Kopf- und Thoraxdiagnostik, sowohl für Röntgen als auch für CT und MRT. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Mammadiagnostik, in der auch die Evidenz am weitesten fortgeschritten ist. Funktional „kümmert“ sich die KI aktuell vor allem um Quantifizierungen, also zum Beispiel das Zählen von Läsionen, und die Detektion von Veränderungen. Nur wenige KI-Lösungen fokussieren sich bisher darauf, dem Arzt eine Diagnose vorzuschlagen. Vereinzelt kommen solche Systeme als eine Art Background-Triage zum Einsatz, die im Hintergrund Bilder zum Beispiel auf Frakturen analysieren und entsprechende Meldungen generieren.

Welche Limitationen sehen Sie aktuell noch beim Einsatz der KI in der Radiologie?

Dr. Piotr Radojewsk: Die größte Limitation, die ich aktuell sehe, ist die fehlende studienbasierte Evidenz für den Patientenbenefit. Und mit Patientenbenefit meine ich: Überleben und Lebensqualität. In der Medizin sind das die wichtigsten Faktoren. Sekundäre Faktoren sind Zeit- und Kostenersparnis und auch hier fehlen uns valide multizentrische Ergebnisse, die den Ansprüchen an die wissenschaftliche Forschung gerecht werden, wie wir sie zum Beispiel aus der Medikamentenzulassung kennen. Bestehende Publikationen sind oft unizentrisch und leider nicht multinational.

Aber die heute im Einsatz befindlichen KI-Lösungen erzeugen doch Mehrwerte, sonst würden Radiologinnen und Radiologen sie doch nicht einsetzen?

Dr. Piotr Radojewsk - VIEW

Dr. Piotr Radojewsk: Als Antwort darauf lohnt sich ein detaillierter Blick auf die Evidenz und deren Einteilung in verschiedene Grade: Der niedrigste Grad ist die technische Evidenz, die lediglich besagt, dass eine KI funktioniert. Auf der zweiten Stufe steht die diagnostische Genauigkeit, auf der dritten die Fähigkeit des „diagnostischen Denkens“, auf der vierten die therapeutische Evidenz. Stufe fünf und sechs schließlich bilden die primären Ziele ab, nämlich das Outcome für die Patienten und schließlich die Effekte auf die Gesellschaft. Die meisten Studien gibt es für die zweite Stufe, also die diagnostische Effizienz, darüber hinaus wird es eher dünn. Das liegt auch daran, dass die Anforderungen seitens der Behörden das bisher auch nicht verlangt haben – was sich aktuell allerdings ändert. Zum einen, weil die Gesetzgebung angepasst wird. Zum anderen, weil Kliniken und Spitäler das auch verlangen.

Gutes Stichwort: Wie entscheiden Sie, ob eine KI in Ihrem Spital und für Ihre Arbeit in der Radiologie zum Einsatz kommt?

Dr. Piotr Radojewsk: Mittlerweile wurden von den einschlägigen Gesellschaften „To buy or not to buy“-Guidelines für die Spitäler erstellt. Dabei handelt es sich um Checklisten, die es den Häusern im Procurementprozess erleichtern sollen, Lösungen herauszufiltern, die den tatsächlichen Bedarf abdecken. Letztlich geht es beim Einsatz von KI auch darum, dass die Lösung zu den Abläufen im jeweiligen Spital passt. Wir haben zum Beispiel einmal eine exzellente Lösung für die Schlaganfalldiagnostik evaluiert. Leider wurde die Software nicht für das schweizerische Gesundheitssystem entwickelt bzw. angepasst. Darum passte sie einfach nicht in die Abläufe des Spitals. 

Wir hatten anfangs über die Körperregionen gesprochen, in denen KI in der Radiologie zum Einsatz kommt. Aber bei welchen prozessualen Schritten unterstützt KI potenziell?

Dr. Piotr Radojewsk: Grundsätzlich kann KI entlang des gesamten radiologischen Workflows zum Einsatz kommen: in der Planung, der Bildakquisition, der Auswertung bzw. Analyse und dem Reporting. Tatsächlich ist die Bildakquisition gerade ein großes Thema.

Worum geht es beim Einsatz von KI in der Bildakquisition genau?

Dr. Piotr Radojewsk: Um die Beschleunigung. Alle namhaften Hersteller von MR-Geräten beschäftigen sich aktuell damit, die Aufnahmezeiten zu reduzieren. Mittlerweile können Untersuchungszeiten im MRT um 50 bis teilweise 90 Prozent reduziert werden. Damit kommen wir schon an die Untersuchungszeiten des CT. Der Beschleunigung zugrunde liegt ein Undersampling: Es werden weniger Daten gesammelt und die KI füllt die fehlenden Informationen auf. Aber auch hier müssen wir nach der Evidenz fragen: Entspricht das beschleunigte, mit KI rekonstruierte Bild der Realität? Verpassen wir eventuell wichtige Bildaussagen oder gibt es Artefakte? 

Die stärkste Domäne der KI entlang des radiologischen Workflows ist aktuell die Analyse mit der Quantifizierung und Validierung. Hier liegt für Radiologinnen und Radiologen das größte Potenzial, um im Alltag Zeit einzusparen. Um diese tatsächlich umzusetzen, müssen sich die Spitäler aber fragen, was genau sie wollen und brauchen, um zu profitieren: Soll die KI eine Background-Triage erstellen? Soll sie eine Entscheidungsunterstützung liefern oder vorhandene Ergebnisse quantifizieren und validieren? Diese Fragen sollten beantwortet werden.

Sie skizzieren punktuelle Lösungen. Interessant wird es ja, wenn der gesamte klinische Prozess mittels KI optimiert werden kann.

Dr. Piotr Radojewsk: Ja, und auch hierfür gibt es gute Ansätze. Ein Beispiel kommt aus der Therapie ischämischer Schlaganfälle. Erkennt die KI auf den Bildern einen Verschluss, wird im Hintergrund die notwendige Versorgungskette getriggert. Die KI übernimmt dann sozusagen die organisatorischen Aufgaben, leitet Informationen weiter, informiert Abteilungen, wann ein Patient kommt. In stark fragmentierten Gesundheitssystemen kann so die sogenannte „Door-to-needle-time“ deutlich reduziert werden. Da besteht großes Potenzial, der Erfolg hängt aber stark von der Anpassung des Tools an die Anforderungen des jeweiligen Gesundheitssystems ab. 

Sprechen wir doch mal über die Basis einer guten KI-Lösung: Die Daten...

Dr. Piotr Radojewsk: ... ein entscheidender Punkt.  Plakate mit dem Aufruf „Daten spenden – Krankheiten früher erkennen“ finden sich aktuell in der Schweiz. Und darum geht’s. Wir brauchen viele Daten, wir brauchen valide Daten. Für alle KI-Anwendungen, nicht nur für solche, die Krankheiten früher erkennen. Aktuell haben wir leider zu wenig Daten, darin liegt eine große Limitation der KI. Eine weitere Herausforderung stellen die sogenannten Data-Mismatches dar. Das heißt, dass Modelle auf Daten trainiert wurden, die nicht der späteren klinischen Realität entsprechen, beispielweise der entsprechenden Patientenpopulation. Das ist ein wirklich zentraler Punkt. Einige KI-Expertinnen und -Experten postulieren, dass die Daten und nicht die Algorithmen der Schlüssel zum Erfolg in der KI sind. Dieser Meinung schließe ich mich prinzipiell an.

Im Zusammenhang mit der Datenqualität spielt auch eine Rolle, dass diese strukturiert sein müssen, damit sie vernetzt werden können. Wir müssen dahin kommen, dass verschiedene Datenquellen – Labordaten, Bilddaten, Textdaten – verbunden werden können. Das setzt Standardisierung voraus und die wiederum Strukturierung.

Werfen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft: Was erhoffen Sie sich von der KI in fünf Jahren?

Dr. Piotr Radojewsk: Ich hoffe, dass wir dann eine viel bessere Evidenzlage haben, so dass wir deutlich besser verstehen, welche Lösungen wirklich nützlich sind. Die zweite wichtige Entwicklung wird den Einsatz von Large Language Models betreffen. Zum Beispiel könnte eine erste Triage auf Basis eines KI-Chatbots erfolgen. Wir werden sehen, ob das kommt. Die wichtigste Botschaft ist meiner Meinung nach aber, dass der Radiologe und die Radiologin  nicht ersetzt werden. Die KI wird der Partner der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Sie wird zum Beispiel meine Diagnosen bestätigen oder dem Krankenpfleger die Medikationsapplikation bestätigen – KI wird zum Alltagshelfer, davon bin ich überzeugt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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